Der Onlinehandel steckt in der Krise. Die Süddeutsche titelte Anfang des Jahres „Onlinehandel ist erstmals in Deutschland geschrumpft“ und das Handelsblatt sprach schon im letzten Jahr vom „Abwärtssog der Krise“, in den kleine Onlinehändler zunehmend geraten. Insolvenzen, Verlustmeldungen, Kündigungswellen – und das selbst bei den Großen. Was ist los im Ecommerce?
Florian Lillig, VP Sales DACH von Bloomreach, meint: „Onlinehändler wie MyToys, Keller Sports, Peek&Cloppenburg – alles Namen, die vor wenigen Jahren aus der deutschen Handels- und Ecommerce-Landschaft nicht wegzudenken waren – sind nach dem Corona-Boom auf dem kalten Boden der Tatsachen gelandet.“ Sie alle mussten während der Pandemie nicht viel tun, um zu wachsen. Die Nachfrage online schien unendlich. Doch diese Zeiten sind vorbei.
Im „Denkanstoß“-Podcast vom Fachmagazin „W&V“ unterhielt sich der deutsche VP Sales von Bloomreach mit Shoplupe-Gründer Johannes Altmann über die Zukunft des Ecommerce. Gemeinsam fanden sie mehr als eine Antwort auf die Frage: Wie kann der Ecommerce wieder begeistern?
Die Herausforderung beginnt beim Sortiment: von der Breite in die Tiefe
Vor 20 Jahren ging es im Ecommerce um Masse. Es ging um Preisvorteile und um den Verfügbarkeitsvorsprung. Das Motto lautete: Möglichst viele Menschen in den Shop holen, mit Preis, Auswahl und Verfügbarkeit punkten und so möglichst viel verkaufen. Viele haben auf diesem Weg ein Produktangebot angehäuft, das ihre Kunden regelrecht erschlägt. Eine gute Führung durch das Sortiment fehlt.
„Die Sortimente sind extrem in die Breite gewachsen. Für jeden sollte etwas dabei sein. Am Ende war aber keiner so richtig happy damit“, weiß Florian Lillig. „Heute braucht es mehr Tiefe als Breite. Spezialisierung und Nachhaltigkeit gewinnen vor allem beim jungen Publikum an Bedeutung. Ihnen ist die Marke an sich wichtiger als das Sortiment.“
Der Massengedanke im Ecommerce führte zur Usability-Optimierung, bei der es darum ging, dass sich die Kunden besser zurechtfinden. Dann kamen die Conversion-Optimierer, die versprachen, mehr aus dem Traffic zu machen – und das alles auf der Basis eines möglichst großen Publikums. „Massenhaft Menschen auf massenhaft Produkte schießen? Das funktioniert heute einfach nicht mehr“, weiß auch Branchenkollege Johannes Altmann, Geschäftsführer und Gründer des E-Shop-Analyse-Anbieters Shoplupe.
Was kommt nach der Masse im Ecommerce?
„Aus Konsumentensicht habe ich gar keine Lust mehr, mich durch solche Massenshops zu klicken“, sagt Johannes Altmann. „Mein Bedarf ist viel granularer. Ich glaube, als Konsument bin ich Ecommerce-müde.“ Die beiden Experten sind sich einig, dass das eine oder andere Produkt künftig wieder stationärer gekauft werden wird, allen voran emotionale, hochpreisige und komplexe Produkte wie smarte Fernseher. Doch die Menschen sind bequemer geworden und werden daher Produkte des alltäglichen Bedarfs weiterhin gerne und viel online kaufen.
„Dinge wie Usability, Conversion und Personalisierung online richtig zu machen, bringt immer noch Vorteile im Wettbewerb“, weiß Florian Lillig. „Die Vorsprünge, die man sich damit sichert, werden aber immer kleiner. Es ist ein ‚Game of Inches‘, wie man auf Englisch so schön sagt.“ Künftig wird es im Ecommerce etwas anderes brauchen als ein breites Sortiment zum attraktiven Preis.
Welche Ecommerce-Strategie funktioniert jetzt – und in Zukunft?
Ein gutes Vorbild liefern kleine D2C-Händler. Sie verkaufen ihre Produkte anders, wollen eine Branche oder gleich die ganze Welt verändern. Coole Produktpräsentation treffen auf einen modernen Purpose, der die Menschen anspricht. Als Beispiel nennt Shoplupe-Gründer Johannes Altmann duschbrocken.de, ein Unternehmen, das unsere Badezimmer plastikfrei machen will – und das auf eine sehr authentische, nahbare und nachhaltige Weise. Die Produkte haben coole, witzige Namen wie Toni Zitoni, die Duschseife mit Zitronenduft oder Conny, die Conditioner-Seife, und Sonnja, die Sonnencreme. Die beiden Gründer nennen ihre Kunden liebevoll Schaumköpfe und erzählen ihre eigene Geschichte mit viel Charme und Humor. Am Ende will man den beiden eine feste Seife abkaufen, egal ob man sie gerade braucht oder nicht.
Die Menschen wollen also heute nachhaltig kaufen. Sie wollen einen Sinn dahinter sehen. „Unternehmen müssen nicht nur ihre Marken emotional aufladen, sondern am besten auch gleich ihre Produkte“, stimmt Florian Lillig von Bloomreach zu. „Das Storytelling muss sich durchziehen. Am Ende geht es vielleicht gar nicht so sehr um das Produkt selbst, sondern viel mehr um das Warum, den Brand Purpose dahinter.“
Die Customer Acquisition Cost (CAC) steigt – Was nun?
Viele Onlinehändler klagen heute über eine steigende CAC. Die Menschen auf sich und das eigene Angebot aufmerksam zu machen, wird immer teurer – nicht zuletzt, da die Top-Player im Advertising mit ihren größeren Budgets die Nase vorne haben. Sie bieten bei jedem Keyword mit und lassen kaum eine digitale Werbefläche aus. Das macht es für kleine Händler immer schwerer.
Viele von ihnen nutzen daher die Sichtbarkeit auf großen Marktplätze, setzen aber mittel- und langfristig dennoch auf ihre eigenen Shops, in denen sie versuchen, den Kunden so weit zu begeistern, dass er das nächste Mal ohne Abstecher zu den Großen direkt zu ihnen kommt. Gelingt das, dann schmerzen auch die anfangs höheren CAC nicht mehr so sehr. Am Ende liegt der Fokus auf der Customer Experience und der Kundenbindung, um mit dem Customer Lifetime Value (CLV) hohe CAC abzufedern.
Begeistern ließen sich Online-Konsumenten laut Johannes Altmann mit „kognitiver Leichtigkeit“ und meint damit, dass es Onlinehändler ihren Kunden möglichst einfach machen sollten. Die Menschen wollen nicht viel nachdenken müssen. Dazu möchten sie Originalität und Stimulation: Sie wollen ein Erlebnis, das zugleich clever und anregend ist. Das Ergebnis ist laut Johannes Altmann die „Customer Happiness”.
Das Fazit: Was den Kunden von morgen begeistert
Im Onlinehandel muss künftig der Gesamteindruck stimmen. Alles muss passen: von den Produkten über deren Präsentation über die Experience bis hin zu Storytelling und dem Purpose. Der Kunde muss wieder im Mittelpunkt stehen. „Früher haben Online Brands oft mehr an sich und ihre Marke als an die Erwartungen des Kunden gedacht. Das fällt vielen nun auf die Füße“, sagt Florian Lillig. Auch das reine Produktangebot ist nicht mehr das wichtigste Kaufargument. Der Kunde von morgen will etwas erleben, er will einen Purpose und stellt hohe Erwartungen an die Technologie im Netz.